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Auszug - Festakt Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Herrn Peter Merseburger (Anlage - Ablauf)  

außerordentlichen Sitzung des Stadtrates Zeitz
TOP: Ö 1
Gremium: Stadtrat Zeitz
Datum: Fr, 07.11.2008 Status: öffentlich
Zeit: 17:00 - 18:15
Raum: Friedenssaal
Ort: Rathaus der Stadt Zeitz, Altmarkt 1, 06712 Zeitz

Frau Beret

                                   Eröffnung der außerordentlichen Sitzung des Stadtrates Zeitz

 

                                                                          F e s t a k  t

 

 

                                                        Verleihung der Ehrenbürgerwürde an

 

                                           H  e r r n   P e t  e r    M e r s e b u r g e r

 

 

 

Herr Sträßner ,Vorsitzender des Stadtrates, begrüßt folgende Ehrengäste:

 

Sehr geehrter                                         

Herr Peter Merseburger,

 

sehr geehrte                                           

Ehefrau Sabine Merseburger,

 

sehr geehrte                                          

Tochter  Kathrin Merseburger

 

sehr geehrte                                          

Schwester Frau Horn,

 

sehr geehrter                                        

Herr Lothar Tautz         von der Landesinitiative für  

                                     Demakratie, Landessprecher von                                                                                                

                                     Sachsen-Anhalt                                                       

 

Verwandte und Bekannte der Familie Merseburger,

 

meine Damen und Herren Stadträte, liebe Bürger!

 

 

 

In Fortführung der Begrüßung der Ehrengäste bittet nun Frau Beret, Vertreterin des Oberbürgermeisters, ganz besonders  den Überraschungsgast herein.

 

 

Herr Dirk Sager – Kollege und Wegbegleiter von Peter Merseburger -:

 

„Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Mein Name ist Dirk Sager, ich bin als Überraschungsgast gebeten, so nennt man das heute. Das ist natürlich eine Intrige, die Sohn Stephan gesponnen hat. Und ich hoffe, er verbindet damit nicht so viele Gefühle der Rache, wie sie manchmal zwischen Vater und Sohn statthaben können.

 

Sohn Stephan, der sich als ZDF-Korrespondent in Paris verdingt, und jüngst konnte ich ihn bewundern, wie er mit prallen Bildern und spitzer Feder, eleganter Feder, sich den Schokoladenseiten dieses Lebens zuwandte. Ich habe ihn beneidet, um dieses Stück. In den Biografien von Peter Merseburger heißt es ziemlich am Anfang meist, Vater von Stephan Merseburger. So ergeht es dann den Vätern von erwachsenwerdenden Söhnen.

 

Väter, die selbst lange Schatten geworfen haben, ereilt der Schatten der Nachgeborenen. In solche Erbfolge will ich mich hier heute Abend natürlich nicht stellen. Es ist eher der Vertreter einer Generation der kleinen Brüder, der hier heute zu Ihnen sprechen darf.

 

12 Jahre Altersunterschied, das ist nicht viel und im Zeitalter der Pensionäre besonders wenig. Aber am Anfang lagen natürlich Welten dazwischen. Die bewusste Erfahrung der Nazizeit und die Jahre danach. Für die Jüngeren war die Trümmerlandschaft der Deutschen 1945 eine Abenteuerwelt, in der sich ganz unbekümmert spielen ließ.

 

Da sammelte Peter Merseburger schon Erfahrungen im Knast von Zeitz. Weil er Wahlplakate geklebt hatte. Er hatte angeeckt. Eine Gewohnheit, in der er sich treu blieb. Und was wir später, wir die jüngeren Brüder, gerne als Lektion übernahmen.

Damals allerdings hieß das Anecken in der Konsequenz, Verlust der Heimat.

 

Kaum vorzustellen, und das geht überhaupt nicht gegen Zeitz, dass wir in den Städten geblieben wären, in denen wir geboren wurden. Aber die Umstände des Abschiedes machten natürlich den Unterschied aus. Ein Weg ins Leben, der als Winterreise begann.

 

Solche Erfahrungen schärften Empfindlichkeiten im Umgang mit der Obrigkeit, schärften auch das analytische Vergnügen, nehme ich an. Es war dann damals die Obrigkeit im Westen, die diese intellektuellen Waffen zu spüren bekamen. Und damit wurde er den kleinen Brüdern zu einer Instanz für Unbestechlichkeit und auch Furchtlosigkeit im Urteil.

 

Die Blattform, auf die wir jungen alle mit Faszination schauten, bot ihnen das Fernsehmagazin „Panorama“.  Ich weiß nicht mit welchen Augen Sie damals die Sendung Panorama, die Sendung des Klassenfeindes betrachtet haben.  Für uns, die manche selbst Journalisten werden wollten oder es schon waren, war diese Sendung im Fernsehen ein Leuchtturm überhaupt.

Panorama bewies uns, dass Journalisten etwas bewirken können, damals jedenfalls, dass es sich lohnt, diesen Beruf zu ergreifen,  weil man die richtigen Leute ärgern kann. Und nichts konnte diese Annahme besser bestätigen als Worte eines ehemaligen Ministers aus dem Kabinett Adenauers, der über Merseburger befand: Diesen Mann kann ich nur als Schwein bezeichnen, dem das deutsche Volk alles zurückzahlen sollte, was dieser ihm angetan hat. Einer der solche Wut auf sich zog konnte nur Vorbild sein.

 

In Washington haben wir uns dann das erste Mal getroffen. Da lernte ich, dass Peter Merseburger nicht nur mit abwägendem Urteil besänftigen kann und keineswegs nur ein Mann ist, der stets verneint, wie jene behaupteten, die ihm Bosheit unterstellten. Höchst konstruktiv konnte er sein und keiner der jemals an seiner Tafel gesessen hat konnte das bestreiten, Peter Merseburger auch ein Genius in der Küche.

 

Natürlich hatte er seine konstruktive Denkungsart schon bewiesen als er die Ostpolitik von Willy Brandt unterstützte. Aber das galt in manchen Kreisen der Politik damals als eine besondere Art der Verführung. Washington war das einzige Mal, dass ein kleiner Bruder dem großen etwas voraus hatte. Hinter mir lagen vier Jahre als Korrespondent in der DDR. Für Peter Merseburger zeichnete sich ab, dass er dorthin gehen würde. Ich schwärmte von diesen Jahren in der DDR, als etwas Großartigen, wie man es sich als Journalist im geteilten Land nur erträumen kann. Ihm erschien die DDR,  ihr Führungspersonal wohl etwas kleinkariert, auf deutsche Weise,  womit er ja nicht unrecht hatte. Zu dem Zeitpunkt mochte er vielleicht noch nicht übersehen haben, dass man mit eben diesem Führungspersonal wenig zu tun hatte. Reitz und Reichtum der Arbeit in der DDR lagen anderswo.  Er blieb eher einsilbig bei diesem Thema und Vorfreude war seinen Zügen kaum zu entnehmen. Aber als er dann da war, war er wieder der große Bruder. Nunmehr als Konkurrent von Kennzeichen D, unserer Sendung im ZDF, einer der Beispiele setzte in der Berichterstattung.

 

Wenn man bedenkt, dass diese Berichterstattung über die anderen Deutschen auch ein Brückenschlag sein sollte, aus dem Verständnis erwachsen würde zwischen den Deutschen in Ost und West, so fürchte ich manchmal heute, dass wir beide das Klassenziel nicht erreicht haben.

 

Nun ist es lange vorbei mit dem Fernsehen und mit Blick auf die Ereignisse in den USA in dieser Woche flutet vielleicht manchmal eine kleine Welle der Wehmut durchs Herz, weil es nicht mehr unsere Welt ist. Die Welt des Zeugen, der dabei ist, vor Ort. Aber dann natürlich darf ein Tag wie dieser als Trost gereichen. Und für Zeitz ist es die Heimkehr eines verlorenen Sohnes, und zwar eine ganz ungefährliche Heimkehr, denn für die CDU wird er wahrscheinlich, aller Wahrscheinlichkeit, keine Plakate mehr kleben.“

 

 

 

Anschließend geht Herr Peter Merseburger an das Rednerpult:

 

„Recht schönen Dank Dirk Sager.

Für die CDU werde ich keine Plakate mehr kleben, das ist ganz sicher. Ich bedanke mich erst einmal natürlich bei dem Stadtrat und bei der Stadt und ihren Vertretern für die wie ich finde unverdiente Ehre der Ehrenbürgerschaft.

 

Aber natürlich nehme ich sie gerne an, denn irgendwo bin ich ja doch dieser Heimatstadt verbunden. Habe Kindheit und Jugend in Zeitz verbracht. Und natürlich werden dann, wenn man an einem solchen Tag, werden Erinnerungen wach, und es sind Erinnerungen natürlich an ein Zeitz, dass inzwischen definitiv versunken ist.

 

Aber ich weiß noch genau, wenn der Wind entsprechend stand, dann roch, ja manchmal stank es nach Chemie und den Abgasen der Brikettfabriken des Braunkohlenreviers rundum. Und wenn der Winter kam, dominierte der typische Geruch der beim Heizen mit Braunkohlebriketts entsteht, die ja den größten Teil ihrer Energie samt Duftnoten in die Atmosphäre schicken.

 

Und als Korrespondent in der DDR habe ich dann gefunden, dass mich vieles an diese alte Zeit erinnerte, vieles schien stehen geblieben insbesondere der Duft der Braunkohlenreviere und auch der Duft der durch Heizen mit Briketts entstand.

 

Ich habe die Stadt vor der Austreibung des Bürgertums eigentlich als viel quirliger in Erinnerung gehabt, als ich sie dann 1982, als ich als Korrespondent aus Washington von der ARD in die DDR entsandt wurde, dann wieder entdeckte.

 

Ja, wie war das eigentlich. Die herrschende Partei hatte sich einen neuen Menschen in einer besseren Lebenswelt zum Ziel gesetzt, aber geschaffen hatte sie eine Infrastruktur, wie ich fand, der Ödnis und der langen Weile, wenn man aus Amerika kam und auch wenn man aus der Bundesrepublik kam und aus Westberlin.

 

Und wenn ich heute durch Zeitz gehe und bedauere wie viel  Bausubstanz verloren ist, an historischen Bauten und wie viel vor dem Verfall steht und es sieht so aus als ob das kaum noch zu retten sei, Barockgröße, Rennaissangsportale, Rennaissangserker etc., dann denke ich natürlich daran, dass  das alles mal begonnen hat mit dem was ich die Austreibung des Bürgertums nenne.

 

Am Stadtrand sind neue Plattenbauten entstanden, aber die Altstadt ließ man verkommen und viele Häuser mit wertvoller historischer Bausubstanz wurden etwa im Brühl abgerissen und der neue Mensch der heranwachsen sollte, das war natürlich und selbstverständlich der alte Adam, den wir so gut kennen.

 

Natürlich gibt es gute Erinnerungen wie fast bei jedem der an seine Kindheit denkt, etwa an die mächtige Blutbuche in Großvaters Garten, unter der wir, meine Schwester und ich,  Spielzeug erproben konnten, das in einer Kinderwagenfabrik gegenüber gebaut worden war, sie lag gegenüber Großvaters Haus auf der anderen Seite des Mühlgrabens. Und auf den Weg dahin hat mich die alte Stadtmauer mit dem Turm die am Stiftsberg steht stets beeindruckt. Wie konnte das eigentlich auch anders sein, mein Vater war Lokalpatriot und Heimatkünstler und ich habe eben vieles was er über Zeitz an Holzschnitten und Fotografien gemacht hat in der Ausstellung drüben im Gewandhaus mir angesehen.

 

Heute sind Reisen in ferne Länder eine Selbstverständlichkeit, auch und gerade für ehemalige DDR-Bürger. Meine Eltern aber gehörten zu jener Generation, die froh waren, wenn sie wenigstens bis Südtirol kommen konnten, um ein wenig am Süden zu schnuppern. Weiter war das für die meisten damals einfach materiell nicht möglich. Und man suchte die Schönheit hier vor Ort. Und so sehe ich die Holzschnitte vom gotischen Giebel, der dieses Rathaus ziert und den es in dieser Form eigentlich nur noch in Breslau ein zweites Mal gibt.

 

Meine Familie hat ihre Wurzeln in Zeitz, ein Urgroßvater hatte am Brühl eine Webmanufaktur und gehörte zu den Handwerksmeistern die damals im Sommer anspannen ließen zur Kur nach Karlsbad fuhren.

Großvater Merseburger versuchte vor dem 1. Weltkrieg einmal sein Glück mit einer Tageszeitung die der fortschrittlichen Volkspartei, das waren so die Sozialliberalen der späten Kaiserzeit nahe stand, aber er verlor leider sein Geld damit.

 

Und mochte die Kindheit unbeschwert sein, wurde schon in der Jugend klar, dass man in diesem schrecklichen 20. Jahrhundert lebte. Jahrhundert der Massenmörder, die ihm seinen Stempel aufdrückten. Hießen sie nun Hitler oder Stalin usw.. Unsere Klasse an der oberen Realschule wurde als Luftwaffen- oder Flagghilfe eingezogen. Heute würde man sagen wir waren Kindersoldaten.

Und wir gingen mit einer 3,7 Flaggbatterie in Stellung und hausten in Baracken vor dem Hydrierwerk bei Tröglitz.

Morgens fuhren wir auf Fahrrädern von dort zur Schule und hatten Latein, Deutsch oder Mathematik und wenn der Rundfunk meldete feindliche Bomberverbände im Anflug über der Nordsee stiegen wir auf unsere Fahrräder und radelten zurück in die Stellung.

Das war damals für uns eigentlich ganz normal.

 

Und als die Amerikaner 1944 Angriffe auf das Hydrierwerk flogen und einige Bomben auch auf unsere Stellung fielen, dauerte es eigentlich nur ein paar Tage, da wurden plötzlich Zelte rund um die Brabag aufgebaut,  ein riesiger Stacheldrahtzaun entstand mit samt Baracken für SS-Verbände und dann kamen ausgehungerte Gestalten in großer Zahl in gestreiften Kleidern.  Ungarische Juden, welche die kaputten die Bohrleitungen und Kühltürme reparieren sollten, einige Häftlinge näherten sich Nachts dem Zaun und dann hörten wir Schüsse. Eine in den gestreiften Hungergestalten, sie muss mein Alter gehabt haben, schrieb später den Roman „Eines Schicksalzlosen“ und erhielt den Nobelpreis für Literatur.

 

Es gibt Bilder und Ereignisse aus dieser Zeit die bleiben im Gedächtnis haften. Wer erinnert sich noch an den Einmarsch der Amerikaner etwa. Für uns waren das am Anfang ganz merkwürdige Soldaten. Wir hatten deutsche Soldaten mit Zwecken gekannt, die großen Lärm machten, wenn sie marschierten.

Die Amerikaner kamen auf leisen Sohlen, auf Gummisohlen und selbst ihre Panzer machten weniger Lärm, denn die Ketten waren mit Kautschuk belegt.

Und unvergesslich leibt für mich der Duft, der sich plötzlich über die ganze Stadt zu legen schien. Das war der Duft von Virginiazigaretten gemischt mit dem Geruch guten Benzins, das nicht aus Braunkohle gewonnen war, denn das aus Tröglitz oder Leuna stank, wenn auch nicht ganz so schlimm wie in dieser Notzeit üblich ein Holzgasfahrzeug, das über die Straße rumpelte.

 

Als die Amerikaner abgezogen waren und das ist die nächste Erinnerung die sich mir eingebrannt hat, machte es nach einer Nacht völliger Stille plötzlich trapp trapp und die Russen zogen ein mit Ponypferdchen vor dem Leiterwagen, auf denen sich Möbel und Betten türmten und am Ende der Wagen hingen Kanonen. Zwei Sieger, zwei Welten.

Der Bürgermeister, den die Amerikaner eingesetzt hatten, den setzten die Sowjets nach einer Kundgebung der KPD, der Kommunistischen Partei ab. Das war Arthur Jubelt, um ihn geht es hier, und  der war alles andere als ein Nazi, im Gegenteil, zusammen mit dem widerständigen katholischen Pfarrer Clemens Wiedelsbach hat er Nazigegnern und Juden geholfen. Gewiss, er war ein durch und durch Konservativer und er war auch kein großer Freund der Weimarer Republik gewesen.

Aber waren das etwa die Kommunisten, die ihn bei den Sowjets denunzierten und die gegen ihn demonstrierten? Die Kommunisten hatten Weimar so fanatisch wie die Nazis bekämpft und trugen mit ihrem Verhalten ebenfalls Schuld am Untergang der 1. Deutschen Republik. Wir haben uns hier angewöhnt, die Geschichte von Weimar von ihrem tragischen Ende her zu sehen, aber vom Scheitern, aber ich glaube sie hätte nicht scheitern müssen, und da bin ich mir mit vielen Historikern einig. Hätten die Kommunisten die Demokratie mit verteidigt wie die Sozialdemokraten und große Teile des Zentrums, dann wäre kein Hitler an die Macht gekommen. Man machte Jubelt nicht den Prozess, man sperrte ihn einfach nach Buchenwald und kam dort um.

 

Persönlich hatte ich das Ende des Krieges als Befreiung empfunden, vor allem Befreiung vom Zwang zum Marschieren, irgendwelchen halbstarken Fähnleinführern gehorchen zu müssen und später groben Feldwebeln. Etwas völlig Anderes, Freies nicht Autoritäres zu gestalten schien mir richtig. Aber als ich zusammen mit Freunden im ersten Landtagswahlkampf nach dem Krieg, es war im Herbst 1946, wirksam Wahlkampf für die CDU von Jacob Kaiser machte, wurde ich mit samt den Freunden ebenfalls weggesperrt, Dirk  Sager hat darauf angespielt, wir hatten viele Plakate geklebt. Aber das war nicht der einzige Grund. Weggesperrt ohne Verfahren wenn auch nur für 14 Tage. Nach den Wahlen lies man uns einfach frei, wohl auf Intervention von Jacob Kaiser hin.

 

Grund, ich hatte regelmäßig Zeitungen aus Westberlin über Dessau nach Zeitz gebracht und verteilt. Nicht nur Zeitungen der CDU, sondern auch der Sozialdemokraten. Und ein Kriminalkommissar, sicher ein kommunistischer Altgenosse, der hielt mir dann vor, ich hätte unlizenziertes Druckmaterial eingeschmuggelt. Als ich ihn dann darauf aufmerksam machte, dass laut Kontrollratsordnung Drucksachen die von einer Besatzungsmacht lizenziert sei, auch in der anderen Besatzungszone gelesen werden dürften, sagte er nur zu mir, so jung und schon so verdorben.

Das war ein Schlüsselsatz, ein Schlüsselerlebnis, das am Anfang eines Weges steht, der mich schließlich zum politischen Journalismus geführt hat.

 

Aber genug mit solchen Erinnerungen. Das schreckliche 20. Jahrhundert ist Gott sei Dank längst Vergangenheit. Wir leben in einem einigen demokratischen Deutschland und wir haben die Pflicht nach vorn zu schauen.

Es ist für mich keine Frage,  dass beim Einigungsprozess manches falsch gemacht worden ist. Aber die Grundentscheidung war wohl richtig und die Geschwindigkeit mit der alles ausgehandelt wurde, war auch nötig. Schließlich konnte keiner wissen, wie lange sich ein Mann wie Gorbatschow in Moskau halten würde.

 

Besonders unglücklich aber war ein Beschluss, Rückgabe vor Entschädigungen. Der hat vieles aufgehalten, was man sonst recht zeitig hätte ändern könne.

 

Ich weiß, dass Zeitz von der Deindustrialisierung besonders hart getroffen worden ist. Die Arbeitslosenquote ist hier besonders hoch und entsprechend zu Buche schlägt die Abwanderung. Und ich habe gerade gehört, dass es so Expertisen gibt und Voranschläge, dass Zeitz demnächst nur noch um rund 20.000 Einwohner haben wird, was sicher den Leerstand von vielen Häusern erklärt.

 

Aber es gibt natürlich auch Lichtpunkte die hoffen lassen. Ich glaube das über 1000jährige Zeitz hat eine Vergangenheit, deren man sich stolz erinnern kann und deshalb sage ich, möge sie eine Zukunft haben die heller ist und in der sie besser da steht, als das heute der Fall ist.

 

Das hoffe ich, nehme ich an mit Ihnen. Und ich möchte mich noch einmal sehr herzlich für die Ehrenbürgerwürde bedanken.“

 

 

 

Alle Anwesenden erheben sich von den Plätzen und danken Herrn Peter Merseburger mit einem langen Applaus.

 

 

 

 

Zur musikalischen Umrahmung des Festaktes spielt am Klavier Frau Rhina Schmeck von der Kreismusikschule des Burgenlandkreises „Anna Magdalena Bach“ Zeitz  die Sonate A-Dur, 2. Satz von Franz Schubert.

 

 

 

Die Laudatio wird von Herrn Seidelt, Vorsitzender der SPD-Fraktion, gelesen:

 

„Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Stadt Zeitz möchte heute einen Mann ehren, den viele vor allem aus dem Fernsehen  kennen und der besonders für uns Ostdeutsche auch ein Stück gesamtdeutscher Fernsehgeschichte darstellt.

Einen Mann, der sich aber auch weit darüber hinaus einen Namen geschaffen hat als Korrespondent, als Journalist und als Moderator.

Und nach seiner Pensionierung auch als herausragender Buchautor.

 

Herr Peter Merseburger, geboren am 9. Mai 1928, ist der Sohn des bekannten Zeitzer Künstlers und Heimatforschers, Karl Erich Merseburger und dessen Frau Gertrud.

 

Nach dem Abitur in Leipzig nahm er ein Studium der Germanistik, Geschichte und Soziologie in Halle auf. Aber er verließ Halle wieder und wechselte nach Marburg, wo er sein Studium abschloss und 1950 in die SPD eintrat.

 

Was waren die Gründe für seinen Weggang?

Peter Merseburger war im Nachkriegsjahr 1946 Kreisjugendreferent der gerade erst gegründeten CDU in Zeitz.

Unter Leitung des damaligen CDU-Vorsitzenden Pfarrer Wittelsbach engagierte er sich im Vorfeld der Landtagswahlen 1946 und hängte am Weg zum Bahnhof Plakate an die Bäume, auf denen zu lesen war:

"Wählt CDU" 

 

Wegen dieser Aktion kamen er und einige seiner Mitstreiter ins Gefängnis.

In der elterlichen Wohnung – laut Zeitzer Adressbuch von 1947 muss das wohl die Weberstraße 24 gewesen sein - wurde Peter Merseburger festgenommen, von der Polizei zum Altmarkt zur Vernehmung geführt und danach inhaftiert. Weil das Gefängnis in der Schlossstraße überfüllt war, sperrte man ihn in der Moritzburg ein.

Nach der Landtagswahl und nach 14 Tagen Haft wurde Peter Merseburger dem Untersuchungsrichter vorgeführt und freigelassen .

 

Später wird Peter Merseburger diese Episode aus seiner Biografie gern auch augenzwinkernd erzählen.

Schließlich, so sagt er, hatte er dem damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl immerhin voraus, schon einmal für die CDU im Gefängnis gesessen zu haben.

 

1950 wurde Peter Merseburger SPD-Mitglied.

Nach seinem Studium und einem Volontariat bei der „Hannoverschen Presse“ begann er dort auch seine journalistische Laufbahn und wurde Kulturredakteur.

Nach Stationen bei der „Neuen Ruhr- Zeitung“ und dem „Spiegel“ kam er schließlich zum Norddeutschen Rundfunk, dem NDR in Hamburg.

 

Im Januar des Jahres 1967 übernahm Peter Merseburger die Leitung und die Moderation des TV- Magazins „Panorama“, dessen Gesicht und Stimme er wurde.

 

„Panorama“, das erste politische Magazin im Deutschen Fernsehen, betrat damals mediales Neuland und war mit seinen investigativen und gesellschaftskritischen Beiträgen oft Zielscheibe von Anfeindungen und Zensur-Angriffen.

 

Peter Merseburger bemerkte 1967 dazu:  „Panorama ist wachsam und kritisch, aber fair“.

 

Es war damals die Zeit, in der sich viele in der Union mit der Beteiligung der Sozialdemokraten an der Regierung noch nicht abgefunden hatten. Mit Beiträgen, in denen Peter Merseburger auch die Schattenseiten des ausgehenden Wirtschaftswunders aufzeigte, erreichte „Panorama“ ein großes Publikum. Heute würde man das „ beträchtliche Einschaltquoten„ nennen.

 

„Panorama“ zeigte unter der Regie von Peter Merseburger Sympathien für die Studentenbewegung und für Willy Brandts Ostpolitik und artikulierte gleichzeitig den Wunsch junger Menschen nach gesellschaftlicher Liberalisierung.

Als 1974 ein Beitrag von Alice Schwarzer über Abtreibungsmethoden in Deutschland nach massiver politischer Intervention aus der Sendung genommen wurde, verweigerte Peter Merseburger die Moderation.

Aus Protest blieb das Studio leer.

 

Jo Brauner musste am nächsten Tag in der Tagesschau verkünden:

„Peter Merseburger und die Autoren betrachten die solchermaßen veränderte Panorama- Sendung nicht mehr als eine, die sie präsentieren und moderieren wollen. Die Moderationstexte werden deshalb verlesen.“

 

Vor allem die CDU fühlte sich in der Zeit der sozialliberalen Koalition und in den Jahren der Studentenrevolte von Peter Merseburger provoziert.

Forderungen wurden laut, dem „Panorama“ Chef in Vorwahlzeiten den Auftritt vor der Kamera zu verbieten, ja ihn vom Bildschirm ganz und gar zu verbannen.

 

Nach 8 Jahren gab Peter Merseburger dann 1975 die Leitung und Moderation von „Panorama“ ab. Nicht resigniert, aber in Sorge um den „zu ideologischen und parteiischen Journalismus“ der Bundesrepublik.

 

1977 wurde er Korrespondent und Studioleiter der ARD in verschiedenen Hauptstädten der Welt, so in Washington D.C. (1977 – 1982), in Ost- Berlin (1982 – 1987) und in London (1987 – 1991).

 

Einen besonders nachhaltigen Eindruck seiner Korrespondententätigkeit hinterließ Peter Merseburger während seiner Zeit in Ost- Berlin.

 

In der sozialliberalen Ära der SPD - Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt - hatte die Bundesrepublik Deutschland ihr Verhältnis zur DDR weitestgehend normalisiert. Nun waren auch Fernsehberichterstattungen aus dem anderen deutschen Staat möglich.

Das Interesse eines breiten Fernsehpublikums im damals noch geteilten Deutschland weckte er durch seine einzigartige Berichterstattung aus Ost- Berlin, die ein erhellendes Bild über den spätsozialistischen Staat in seiner realen Existenz zeichnete.

 

Mit der Sendereihe „Deutsches aus der anderen Republik“ lieferte Peter Merseburger ein in der Bundesrepublik bisher nicht bekanntes Bild vom Alltag der DDR. Und viele Bürger im Osten erfuhren durch Peter Merseburgers Reportagen unbekannte Tatsachen aus ihrem eigenen Land.

 

Und auch sein eigener Sohn Stephan, damals noch jugendlicher Punkfan, erfuhr und vor allem erlebte damals so einiges in dem anderen deutschen Staat.

Bekannt ist dazu die Anecktode, wie ihm sein Vater das perfide Überwachungssystem der DDR-Organe am eigenen Leibe spüren ließ, als er ihn einmal in die amerikanische Botschaft in Ostberlin schickte.

Beim Verlassen der Botschaft wurde Stephan Merseburger sofort von Vertretern der Staatsmacht festgehalten. Zum Glück hatte er Papiere bei sich, die ihn als Bürger der Bundesrepublik auswiesen.

 

 

Peter Merseburger war und ist ein Bürger zwischen Ost und West.

Die Erfahrungen, die er in diesen Jahren sammelte, fasste er später in dem 1988 erschienen Buch „Grenzgänger“ zusammen.

 

Nach seiner Zeit in Ost- Berlin wurde Peter Merseburger 1987 zum Leiter des ARD-Studios nach London berufen, wo er die Nachfolge von Wolf von Lojewski antrat.

Diese Funktion legte er jedoch 1991 mit seiner vorzeitigen Pensionierung nieder.

 

Peter Merseburger gehörte zu jener Gruppe Journalisten, denen der nachhakende politische Journalismus noch eine wirkliche Herzensangelegenheit war.

 

Für seine journalistische Arbeit erhielt er eine Vielzahl von Auszeichnungen.

Für sein Lebenswerk bekam er den „Fritz-Sänger-Preis“.

 

Für seine Brandt-Biografie erhielt Peter Merseburger 2003 den Deutschen Bücherpreis

 

Seit seinem Rückzug aus dem Fernsehgeschäft arbeitet Peter Merseburger als freischaffender Schriftsteller, lebt abwechselnd in Berlin und Südfrankreich.

Anlässlich seines diesjährigen 80. Geburtstages schrieb der Berliner Journalist und Arnulf Baring-Schüler Jacques Schuster:

 

( Ich zitiere: )

 

„Es gibt nur wenige Menschen, denen es gelingt, an der Wegbiegung zum Alter noch ein zweites Leben zu beginnen und in diesem zu glänzen. Theodor Fontane war so ein seltener Fall.

Ähnlich steht es mit Peter Merseburger, der heute seinen  80. Geburtstag feiert.

 

Nach dem Eintritt ins Rentenalter beschloss der Fernsehjournalist das alte Herz nicht an der Erinnerung vergangener Jugend zu wärmen, sondern noch einmal die Kräfte zu sammeln, um in die staubigen Magazine deutscher Nachkriegsarchive zu steigen und als Historiker zu arbeiten.

 

Innerhalb eines guten Jahrzehnts schrieb Merseburger drei Bücher.

Zunächst eines über Kurt Schumacher, dann eines über Willy Brandt und das jüngste im vergangenen Jahr über Rudolf Augstein. Alle drei Biografien sind bedeutend und beileibe keine Fliegengewichte. Auf neuen, bis dahin unbekannten Dokumenten beruhend, sind sie einfühlsame Charakterstudien, leichthändig und virtuos geschrieben. Zudem erzählen sie über die jeweilige Persönlichkeit die Geschichte der Bundesrepublik und überragen die Bücher sonstiger Fernsehjournalisten um ein Weites.“

 

( Zitatende )

 

 

Meine Damen und Herren,

 

der Zeitzer Stadtrat hat Anfang dieses Jahres beschlossen, Herrn Peter Merseburger in Würdigung seines Lebenswerkes und als herausragende Persönlichkeit innerhalb der deutschen Medienlandschaft die Ehrenbürgerwürde der Stadt Zeitz zu verleihen.

 

Mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde ist auch der Eintrag in das „Goldene Buch“  der Stadt Zeitz verbunden.

 

 

 

Sehr geehrte Frau Sabine Merseburger,

sehr geehrte Frau Kathrin Merseburger,

sehr geehrte Frau Horn, Herr Horn, Frau Carl, Frau Wahl,

sehr geehrter Herr Überraschungsgast Dirk Sager,

meine Damen und Herren Stadträte,

liebe Bürgerinnen und Bürger.

 

Seine Geburtsstadt Zeitz wünscht Peter Merseburger für die Zukunft alles Gute und die nötige Kraft, all das zu schaffen, was er sich noch vorgenommen hat.

 

Die Stadt Zeitz ist stolz auf ihren berühmten Sohn.“

 

 

 

 

Nun folgt die Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Zeitz sowie die Übergabe der Verleihungsurkunde und ein Geschenk durch Frau Beret, Vertreterin des Oberbürgermeisters und Herrn Sträßner, Vorsitzender des Stadtrates Zeitz.

 

 

Mit dem Musikstück von Ludwig v. Beethoven Sonate D-Dur op. 6 für Klavier zu 4 Händen, 1. + 2. Satz, vorgetragen von Rhina Schmeck und Lydia Kuhnt von der Kreismusikschule BLK „Anna Magdalena Bach“ Zeitz und  einem Sektanstoß wird der Festakt beendet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sträßner                                                                               Krämer

Vorsitzender des Stadtrates Zeitz                                        Protokoll